ISBN 3-936049-37-8
160 Seiten
11,80 €

 

 

Jürgen Mümken (Hrsg.)
Anarchismus in der Postmoderne
Beiträge zur anarchistischen Theorie und Praxis

Mit Beiträgen von Ralf Burnicki, Torsten Bewernitz, Olaf Kaltmeier, Jens Kastner, Jürgen Mümken und Bernd-Udo Rinas

Der vorliegende Sammelband setzt sich mit Teilaspekten der anarchistischen Diskurse mit und in der Postmoderne auseinander. Postmoderne – Globalisierung – Neoliberalismus haben die gesellschaftlichen Realitäten und deren Wahrnehmung verändert, so dass einige der Voraussetzungen des klassischen Anarchismus überholt sind und in Frage gestellt werden müssen. Der Staat, das Kapital, das Patriarchat usw. haben ihr Gesicht verändert. Begriffe wie Freiheit und Autonomie stehen im Zentrum der neoliberalen Herrschaft. Das Vokabular der Moderne reicht zur Analyse und Kritik gegenwärtiger Gesellschaften nicht mehr aus, denn veränderte Verhältnisse verlangen eine neue Sichtweise. Die Aufgabe anarchistischer Kritik ist es, einen Diskurs über die Krise zu entwickeln, der nicht symmetrisch zum herrschenden Diskurs verläuft.

In dem ersten Beitrag Anarchismus in der Postmoderne stellt Jürgen Mümken, das Verhältnis des Anarchismus zur Moderne und Postmoderne dar. Der klassische Anarchismus orientiert sich stark an die Moderne, die Postmoderne hat die gegenwärtigen Gesellschaften und die Sichtweise auf diese verändert. Eine anarchistische Theorie muss diesen Prozess reflektieren. Der von Mümken vorgestellte Postanarchismus ist eine mögliche Form der Reflektion und der Weiterentwicklung anarchistischer Theorie und Praxis. Das Subjekt, die Macht und andere Felder werden mit Hilfe poststrukturalistischer Theorie im Anarchismus neu gedacht.
Mit dem anarchistischen Staatsverständnis unter neoliberalen Bedingungen beschäftigt sich Jens Kastner in seinem Beitrag Autorität, Verhältnis, Effekt gegen Repräsentation und Gewaltmonopol, denn auch Angesichts der neoliberalen Umstrukturierungen bleibt der Staat ein entscheidender Akteur des politischen Feldes. Kastner stellt das Staatsverständnis der klassischen Anarchisten Bakunin und Landauer vor, um sich dann Foucault, Agamben und Boltanski/Chiapello zu zuwenden. Bei Foucault steht der Staat als Effekt von Machtverhältnisses im Zentrum und bei Agamben der Ausnahmezustand als Antwort der Staatsgewalt auf die aktuelle Krisensituation. Boltanski/Chiapello beschreiben die Ver- und Anwendung zentraler Vokabeln wie Selbstverwaltung eines ehemals libertären Milieus im herrschenden Diskurs des Neoliberalismus. Kastner konstruiert entlang der Kritik am Gewaltmonopol sowie der Repräsentationskritik eine Linie vom klassischen Anarchismus zur postmodernen Theorie.
In Anarchismus, Neoliberalismus und Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat geht Jürgen Mümken der Differenz zwischen einem anarchistischen und neoliberalen Freiheitsbegriff nach. Indem der Neoliberalismus prinzipiell alles den gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen überlässt, suggeriert er neue Freiheiten. Der ökonomische Nutzen definiert die neoliberale Freiheit. Der Beitrag zeigt auf, dass die neoliberale antistaatliche Rhetorik nichts mit einer anarchistischen Antistaatlichkeit und Freiheitskonzeption zu tun hat.
Auch in einer nichtstaatlichen Gesellschaft müssen Entscheidungen getroffen werden. So stellt Ralf Burnicki in Anarchismus und Konsens den Konsens als ein Entscheidungsbeispiel für eine herrschaftslose „postmodernitäre“ Gesellschaft vor. Eine anarchistische Entscheidungstheorie opponiert gegen die Formen der politischen Repräsentation und gegen das Mehrheitsprinzip gegenwärtiger Demokratien. Für Burnicki verkörpert das neo-anarchistische Konsensprinzip die Aussicht auf ein Entscheidungsmodell, das in klassische Revolutionsbestrebungen des Anarchismus integriert werden kann als ein ideales Entscheidungsmodell einer künftigen Gesellschaft der Freien (Heterogenen) und Gleichberechtigten.
In einem weiteren Beitrag befasst sich Torsten Bewernitz mit den Problemen des Klassenkampfes in der Postmoderne aus einer anarchosyndikalistischen Perspektive. Die Differenz zwischen anarchosyndikalistischen und postmodernen Ansätzen scheint in der von den anarchosyndikalistischen Gewerkschaften und Gewerkschaftsinitiativen betriebenen Identitätspolitik bzgl. der Klassen zu liegen, die einem postmodernen identitätskritischen Ansatz entgegenzustehen scheint. Bewernitz zeigt in seinem Beitrag, dass dies nicht so sein muss. Ausgehend von dem Verständnis von Klassen bei Marx, Bourdieu und im Anarchosyndikalismus geht er der Frage nach, ob es noch Klassen in der Postmoderne gibt, dabei wird das Problem von Klasse und Identität nicht ausgeblendet. Die Theorien von Foucault, Gramsci, Derrida und Butler sind weitere Bezugspunkte bei der Beschäftigung mit den Problemen der Klasse und des Klassenkampfes.
Am Beispiel der Mapuche-Bewegung in Chile zeigt Olaf Kaltmeier in Auf Suche nach der Anarchie eine poststrukturalistische Perspektive auf herrschaftsfreie Gesellschaften und widerständige Gemeinschaften. Dabei ist sich Kaltmeier der Problematik bewusst, dass auch libertäre Ansätze nicht davor gefeit sind, fremde Gesellschaften einfach als ein herrschaftsfreies Fundstück vorzuführen, ohne den problematischen eigenen Status zu thematisieren. Ihm geht es um die Betrachtung verschiedener Ansätze zum Umgang mit „herrschaftsfreien Gesellschaften“. Illustriert hat er es am Beispiel der Mapuche in Chile. Die Bedeutung des Anderen im Anarchismus gehört zu dieser Fragestellung.
Mit dem Zapatismus am 1. Januar 1994 hat ein neues „Gespenst“ die Weltbühne betreten. In Karl Marx und andere Gespenster oder: Eine Neue Internationale der Hoffnung geht Torsten Bewernitz der Frage nach, ob der Dekonstruktivismus die dem Zapatismus angemessene Theorie ist, dabei bezieht er sich auf „Marx’ Gespenster“ von Jacques Derrida. In diesem Buch nennte Derrida drei Gründe, Marx neu zu lesen: die Neue Internationale, der Messianismus und eine radikale Kritik. Und diese neue Lektüre Marx’ mit Derrida führt, laut Bewernitz, direkt zu den zapatistischen Grundgedanken der EZLN, wenn wir anarchistische Grundgedanken wie die Antistaatlichkeit mitdenken.
Im letzten Beitrag Postmoderne – Veganismus – Anarchismus geht Bernd-Udo Rinas der Frage nach einem nicht-anthropozentrischen, postmodernen und dekonstruktiven Anarchismus nach. Er will damit eine notwendig erscheinende Debatte über ein zeitgemäßes anarchistisches Selbstverständnis eröffnen. Anarchistische Gesellschaftskritik kann demnach nur dann zeitgemäß und fortschrittlich sein, wenn sich der eigene theoretische Standpunkt in gleichem Maße hinterfragt und postmodern dekonstruiert wird. Deshalb müssen in der Folge bisher gültige anarchistische Grundaussagen durchaus in Frage gestellt werden. Der Beitrag von Rinas möchte einen Gedankenbaustein für eine mögliche Diskussion liefern, in der deutlich wird, welches theoretische Potential der Anarchismus besitzt, aber auch, von welchem Teil er sich trennen müsste, wenn er sich als Gegenkraft behaupten will. Es geht Rinas um Verknüpfungspunkte zwischen Veganismus, Postmoderne und Anarchismus, da für ihn im Veganismus erste Verwirklichungsschritte eines postmodernen Anarchismus angedeutet werden.

Diese Beiträge sollen dazu Beitragen die Diskussion über eine Aktualisierung anarchistischer Theorie und Praxis voranzutreiben. Den Autoren ist bewusst, das die Beiträge im Buch nicht alle notwendigen Bereiche abdecken, es fehlt zum Beispiel eine anarchafeministische Auseinandersetzung mit dem Postfeminismus in Anschluss an Judith Butler. Diese und andere Themen können und müssen aufgegriffen und somit theoretische Lücken geschlossen werden.

Weitere Bücher zum Thema bei Edition AV:
Ralf Burnicki: Anarchismus und Konsens
Jürgen Mümken: Freiheit, Individualität und Subjektivität

Web-Link zum Thema: Postanarchismus.net

Rezension

Stefan Paulus: Anarchismus in der Postmoderne. Ein Buchbesprechung, unveröffentlicht mehr ...
Thorsten Hallman: "Anarchismus in der Postmoderne" in: Semesterspiegel - Zeitung der Studierenden an der Universität Münster Nr. 356/2005 mehr ...

Stefan Paulus: Anarchismus in der Postmoderne
Der Sammelband „Anarchismus in der Postmoderne“ setzt sich mit Teilaspekten anarchistischer und poststrukturalistischer Theorien auseinander. Ziel dieses Bandes ist es, die, durch die Veränderung der kapitalistischen Strukturen hervorgegangen, gesellschaftlichen Zusammenhänge neu zu beurteilen und veraltete anarchistische Analysekonzepte in Frage zu stellen. Denn nicht nur die Nationalstaaten und die Kapitalverwertungsbedingungen haben ihre Form verändert, sondern auch die Ideen von Freiheit und Autonomie sind Teil eines neoliberalen Diskurses geworden, um Menschen dazu zu bringen ihre Träume und Wünsche nach Selbstbestimmung als ein herrschaftsstabilisierendes Element einzubauen. Weil die kapitalistische Globalisierung mit ihrem neoliberalen Gesicht die gesellschaftlichen Realitäten und deren Wahrnehmung verändert, ist die zentrale These dieses Bandes, dass das Vokabular des klassischen Anarchismus nicht mehr zur Analyse und Kritik gegenwärtiger Gesellschaften ausreicht.
An dieser Stelle setzt auch der erste Beitrag „Anarchismus in der Postmoderne“ von Jürgen Mümken an: Mümken erläutert, dass der aktuelle Anarchismus noch stark an den Idealen der Modere verhaftet ist. Aufklärung, Vernunft, Fortschritts- und Technikgläubigkeit, Objektivität und die Vorstellung eines bürgerlich-autonom handelnden Subjekts sind wesentliche Bestandteile der Modernen Ideologie. Mümken stellt dabei Fragen danach, welchen Zweck, welchen Wahrheitsanspruch diese Kategorien erfüllen. Postmoderne Ansätze versuchen moderne Kategorien radikal Infragezustellen, zu dekonstruieren und ihre herrschaftssichernde Funktionen offen zu legen. Diesen Ansatz, so Mümken, müsste auch die aktuelle anarchistische Theorie und Praxis leisten. Eine mögliche Form der Reflexion und der Weiterentwicklung der momentanen anarchistischen Analyseversuche ist der in diesem Beitrag vorgestellte Ansatz des Postanarchismus.
Der darauf folgende Beitrag „Autorität, Verhältnis, Effekt gegen Repräsentation und Gewaltmonopol“ von Jens Kastner setzt sich mit dem anarchistischen Staatsverständnis unter neoliberalen Vorzeichen auseinander. Kastner verdeutlicht mit den Konzepten von Bakunin, Landauer, Foucault, Agamben, dass staatliche Regierungsweisen nicht ausschließlich repressiv sind und auf Zwang und Bedrohungen beruhen, sondern, dass der Staat ebenso ein Verhältnis, ein freiwillig von Individuen mitgetragenes Gewaltmonopol ist, das durch Bestechungen und Konsens reproduziert wird. Der Beitrag von Kastner schließt mit der spannenden Frage: „Wenn Freiheit selbst ein Teil gouvernementaler Führung geworden und als Gegenbegriff zum Staat in Zweifeln geraten ist, was kann dann den offensichtlich vorhandenen Herrschaftsverhältnissen entgegengehalten werden“ (Kastner: 37f) ?
Dieser Denkweise folgt auch der anschließende Beitrag von Mümken „Anarchismus, Neoliberalismus und Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat“. Mümken geht der Differenz zwischen einem anarchistischen und neo-liberalen Freiheitsbegriff nach und kommt zu einem keineswegs überraschenden aber diskussionswürdigen Fazit.
An der Idee wie in einer herrschaftslosen Gesellschaft Entscheidungen getroffen werden könnten, setzt der Text von Ralf Burnicki „Anarchismus und Konsens“ an. Dieser Text ist allerdings nicht nur ein theoretisches Denkspiel, sondern bietet auch konkrete Handlungsmöglichkeiten an, wie (Gruppen-) Entscheidungen außerhalb von Konkurrenz, Hierarchien und Bevormundungen getroffen werden könnten.
Zentral für eine anarchosyndikalistische Auseinandersetzung mit postanarchistischen Ansätzen bietet der Beitrag „Klasse von Gewicht? Probleme des Klassenkampfes in der Postmoderne“ von Thorsten Bewernitz. Bewernitz fragt danach, wo die Probleme des Klassenkampfes zu finden sind, ob es noch Klassen in der Postmoderne gibt bzw. ob überhaupt noch ein Klassenbewußtsein im neoliberalen Kapitalismus existiert und ob für eine radikale Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse ein revolutionäres Subjekt notwendig ist. Bewernitzs Analysen bieten nicht nur eine spannende Diskussionsgrundlage zur Erneuerung anarchosyndikalistischer Konzepte, sondern sind auch eine Antwort auf die phlegmatischen Phrasen angestaubter AnachosyndikalistInnen, denn „Klassenkampf ist der Kampf darum, nicht klassifiziert zu werden“ (Bewernitz: 92).
Die folgenden Beiträge von Olaf Kaltmeier „Auf der Suche nach Anarchie. Poststrukturalistische Perspektiven auf herrschaftsfreie Gesellschaften und widerständige Gemeinschaften“ und von Thorsten Bewernitz „Karl Marx und andere Gespenster oder: Eine Neue Internationale der Hoffnung“ finden libertäre Ansätze bei der Mapuche-Bewegung in Chile und den aufständigen Zapatisten in Mexiko. Hervorzuheben hierbei ist Kaltmeiers poststrukturalistische Herangehensweise, welche aufzeigt, dass es keine herrschaftsfreien Gesellschaften mehr gibt und dass selbst die Beschreibung von „anderen“ Gesellschaften, „eigene“ Vorstellungen beinhaltet und diese dadurch schon von Machtverhältnissen und Herrschaftstechniken durchzogen sind. Gerade dieses Dilemma ist aber eine libertäre Herausforderung, um einen vielfältigen, differenzierten bzw. einen „polyphonen und ent-werkten Kommunismus zu denken“ (Kaltmeier: 118). Die Politik der EZLN greift verschiedene Perspektiven auf, indem sie solche Wir/Ihr Dualismen dekonstruiert, indem sich die ProtagonistInnen maskieren und so „wissen wir nicht, ob hinter der Maske (des Subcomandante Marcos, der EZLN,...) der/die chiapanekanische Indigene, der Schwule/die Lesbe in San Fransisco, der/die Schwarze in Südafrika, der/die AsiatIn in Europa, der/die AnarchistIn in Spanien 1936, der/die GewerkschaftlerIn in einer Maquiladora, der/die PazifistIn in Bosnien, der/die Bauer/Bauerin ohne Land steckt“ (Bewernitz: 134).
Der letzte Beitrag von Bernd-Udo Rinas „Postmoderne-Veganismus-Anarchismus. Andeutungen zu einem nicht-anthropozentrischen, postmodernen und dekonstruktivistischen Anarchismus“ schließt einerseits Konsequent an der politischen Philosophie des Poststrukturalismus an, nämlich „Tier-Werden, Schwarz-Werden, Frau-Werden“ (Gabriel Kuhn), bietet andererseits wiederum ein normatives Ideal, wenn im „Veganismus erste Verwirklichungsschritte eines postmodernen Anarchismus angedeutet werden“ (Mümken: 9).
Insgesamt ist dieser Sammelband ein gelungener Beitrag zur Diskussion über die Aktualisierung anarchistischer Theorie und Praxis. Gerade die herrschaftskritischen Ansätze poststrukturalistischer Arbeiten und ihrer immanenten Kritik der scheinbaren Natürlichkeit gesellschaftlicher Ordnungen und Denkformen ermöglichen die theoretischen Lücken des klassischen Anarchismus zu schließen. Auch der Verlag Edition AV hat Mut bewiesen, diese längst überfälligen Erneuerungsversuche einer breiten Öffentlichkeit zu kommen zu lassen. Kritisch lässt sich anmerken, dass in diesem Sammelband keine explizite Auseinandersetzung mit feministischen Inhalten stattgefunden hat, denn gerade poststrukturalistische Diskurse basieren auf Überlegungen zur Dekonstruktion von binären Geschlechtsidentitäten, sowie auf der Kritik der Geschlechterverhältnisse als Herrschaftsverhältnisse. Dieses Fehlen verdeutlicht wichtige offene Stellen um die Theorie des Postanarchismus voranzutreiben.

Thorsten Hallman Anarchismus in der Postmoderne
Die Postmoderne, so scheint’s, ist nach wie vor ein Pudding im politischen Koordinatensystem der Linken, oft geschmäht als theoretisch-methodische Beliebigkeit, passend zum bastelbiographischen Individualismus linksliberaler Lifestyle-Eliten. Kein Schwarz-Weiß, keine Wahrheit, nicht wie beim guten alten Marx alles fein logisch abgeleitet bis zum bitteren Ende und zum geschlossenen Weltbild.
Das von Jürgen Mümken herausgegebene und im Frühjahr im Frankfurter Verlag Edition AV erschienene Bändchen „Anarchismus in der Postmoderne“ versucht, linkslibertäres (antikapitalistisch-antiherrschaftliches) Denken und Handeln anhand der unter „Postmoderne“ subsumierten Debatten und Theorieströmungen zu aktualisieren. Der Buchtitel verleitet sprachlich jedoch zu Kurzschlüssen, in dem er einen Anarchismus in eine Beziehung zu einer Postmoderne setzt. Tatsächlich schlagen die sechs Autoren (!) in acht Beiträgen einen weiten Bogen verknüpfen sehr unterschiedliche Aspekte linker Theorie und Praxis zu einem dichten und keinesfalls widerspruchsfreien Geflecht.
Die Postmoderne wird zunächst als - keineswegs „beliebige“ - theoretische Strömung betrachtet, die dezidiert jeden Wahrheits- und Objektivitätsanspruch, nicht jedoch moralisch begründete Kritik der Gesellschaft verneint, und sich zum Zwecke des Verständnis dieser den kognitiven, sprachlichen und kulturellen Praktiken der Selbstkonstitution und Machtausübung zuwendet. Hierzu zählen etwa Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus und Postfeminismus (Michel Foucault, Jacques Derrida, Judith Butler...). Zeitdiagnostisch hingegen zählen zur Postmoderne neue hegemoniale Regime (Neoliberalismus, Biopolitik) und womöglich eine neue Form der Widerständigkeit – etwa der Zapatismus als „erste Rebellion des 21. Jahrhunderts“.
Am anderen Pol des Beziehungsgeflechts geht es nicht nur um den klassischen Anarchismus, sondern auch um Klassenkampf, Veganismus, traditionell-herrschaftsfreie Gesellschaften und wiederum Zapatismus – mancher land-, besser stadtläufige Anarchist würde dies alles als überaus unanarchistisch geißeln. Das nur nebenbei.
Aber halt, da fehlt doch was? Im klassischen Anarchismus sträflich unterbelichtet, jedoch in der Postmoderne kaum zu umgehen: die Geschlechterfrage. In diesem Band finden sich nur ziemlich beiläufige Annäherungen daran, etwa auf dem Umweg über Veganismus und Anthropozentrismus statt. Ansonsten klafft hier eine Lücke, wie die Autoren selbst zugeben.
Das ganze Unterfangen ist dennoch lohnens- und das Buch sehr lesenswert. Die Beiträge von Torsten Bewernitz, Ralf Burnicki, Olaf Kaltmeier, Jens Kastner, Jürgen Mümken und Bernd-Udo Rinas bieten meist theoretisch fundierte, differenzierte und oft praxisnahe Reflexionen des Diskussionsstands und Impulse zum Weiterdenken für eine außer- bis antiparlamentarische linke Perspektive.

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