ISBN 978-3-86841-052-5
250 Seiten
18 €

 

Allan Antliff
Anarchie und Kunst

Von der Pariser Kommune bis zum Fall der Berliner Mauer
aus dem Englischem übersetzt von Katja Cronauer


Beginnend mit Courbet, Proudhon und der Pariser Kommune handelt dieses Buch von anarchistischer Kunst seit dem 19. Jahrhundert und ihrer Wechselwirkung auf gesellschaftlichen Wandel anhand bedeutender geschichtlicher Ereignisse. Dabei nimmt der Autor Bezug auf die philosophischen und politischen Diskurse der jeweiligen Epoche. Er untersucht, wie sich anarchistische KünstlerInnen (MalerInnen, DichterInnen, GrafikerInnen, MusikerInnen, KunsthistorikerInnen, u.a.) mit einer Reihe von Themen, einschließlich Ästhetik, Militarismus, der ökologischen Krise, Staatsautoritarismus und Feminismus beschäftigt haben.
Behandelt wird u.a.
-   die Darstellung der Entrechteten durch die Neoimpressionisten in den 1880ern und 90ern
-   anti-imperialistische und post-industrielle Interpretationen indischer Kunst
-   der Dadaismus und der erste Weltkrieg
-   anarchistische Künstler in Russland 1917 bis 1919 und im Gegensatz hierzu das konstruktivistische Theater unter dem nachrevolutionären Kommunismus der Sowjetunion
-   die Auseinandersetzung mit Themen wie Krieg und sexueller Befreiung in den USA von den 1940ern bis in die 1960er
-   Kunst im Rahmen der amerikanischen Studentenbewegung der 1960er
- und abschließend Kunst des späten zwanzigsten Jahrhunderts in den USA und Großbritannien gegen staatliche Systeme und Kriege, insbesondere den Falklandkrieg und den ersten Golfkrieg.

Allan Antliff ist Kunsthistoriker und -kritiker und hat an der University of Victoria in Kanada den Lehrstuhl für Moderne und Zeitgenössische Kunst inne. 1998 erhielt er seinen Doktor als Kunsthistoriker an der University of Delaware. Er hat diverse Artikel und Bücher zu den Themen Kunst und Anarchismus veröffentlicht

Rezension:

Julia Hoffmann: Anarchie und Kunst. erschienen in: Contraste, April 2012 mehr...
Siegbert Wolf: Anarchismus und Kunst, erschienen in: Gegenwind. Politik und Kultur (Kiel), Nr. 279, Dezember 2011 mehr...

Julia Hoffmann: Anarchie und Kunst
„Jede Art kreative Arbeit, die mit wahrheitsgetreuem Wahrnehmungsvermögen soziale Ungerechtigkeiten gewissenhaft und unerschrocken darstellt, ist eine größere Bedrohung ... und eine wirkungsvollere Inspiration als die tollsten Tiraden des Straßenredners“, so die russisch-amerikanische Anarchistin Emma Goldman (Antliff, S. 8). Auch andere AnarchistInnen, wie Pierre-Joseph Proudhon und Peter Kropotkin wiesen auf die Wichtigkeit kreativer Arbeit und Kunst hin. Auf sie bezieht sich der Kunsthistoriker Allan Antliff in seiner Einleitung zu dem Buch „Anarchie und Kunst“, in dem er eine gelungene Auswahl anarchistischer KünstlerInnen der letzten beiden Jahrhunderte vorstellt:
Von Gustave Courbets realistischer Kunst und seinem Engagement in der Pariser Kommune von 1871 führt der Autor über die freiheitlich-egalitären Neoimpressionisten, die Kritik am Industriekapitalismus und der Not der Arbeiterklasse übten; über die Dada-Bewegung in New York, anti-koloniale Kunstkritik in Indien, anarchistische Kunst während und nach der russischen Revolution von 1917 und während der McCarthy-Ära der 1940er und 50er in den USA; bis zu Gee Vaucher, Illustratorin und Collagekünstlerin der Punkband Crass, und Richard Mocks Grafiken über den Zweiten Golfkrieg. Besonders mitreißend ist das im Buch abgedruckte Interview mit Susan Simensky Bietila, die in den 1960ern als Illustratorin für die aktivistische Presse in New York gearbeitet hat und uns mit ihren Erzählungen bis zu aktivistischen Wanderausstellungen im neuen Jahrtausend geleitet.
Insgesamt ein informatives, anregendes und gut verständlich geschriebenes Buch über Kunst, die – aus anarchistischer Perspektive – zu politischen, philosophischen und sozialen Themen Stellung nimmt.

Siegbert Wolf: Anarchismus und Kuns
Das Buch des Kunsthistorikers Allan Antliff, University of Victoria/Kanada, behandelt die Geschichte der anarchistischen Kunst seit dem 19. Jahrhundert in ihrer Wechselwirkung auf bedeutende historische Ereignisse und gesellschaftlich-freiheitliche Bewegungen. Der Autor zielt ab auf eine Klärung des Verhältnisses von „Anarchismus und Kunst“ (S. 7) und darauf, „jene Kunstschöpfung in den Vordergrund zu rücken, die aus anarchistischer Perspektive zu historischen, philosophischen, sozialen und politischen Themen Bezug nimmt“ (ebd.)
Sowohl hinsichtlich bedeutender libertärer ‚Vordenker’ wie Pierre-Joseph Proudhon, Peter Kropotkin, Emma Goldman oder Gustav Landauer als auch innerhalb der neuzeitlichen anarchistischen Bewegungen in Europa und Nordamerika im 19. und 20. Jahrhundert lässt sich eine weit verbreitete Wertschätzung kreativ-künstlerischer Ausdrucksformen anführen. Folglich ist es nicht verwunderlich, dass das libertäre Verständnis einer umfassenden Transformation der Gesellschaft in Richtung Freiheit, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit niemals auf Veränderungen ausschließlich im ökonomischen und politischen Bereich begrenzt war, sondern sich ebenso auf die künstlerischen Potentiale und Ausdrucksformen der darin wirkenden Menschen bezog.
Der dramaturgische Bogen von Antliffs historischer Monographie reicht von Pierre-Joseph Proudhons libertärer Kunstphilosophie, einer Kritik des metaphysischen Idealismus („Von den Grundlagen und der sozialen Bestimmung der Kunst“, 1865), über dessen Freund Gustave Courbet, dem der Ruf eines radikalen Künstlers vorauseilte und der sich „das Anliegen, die Gesellschaft mit der Kunst zu verändern“ (S. 23) zu eigen machte, bis hin zur Pariser Kommune 1871, als Courbet sein anarchistisches Kunstprogramm einbrachte. Des Weiteren beschäftigt sich Antliff mit den anarchistischen NeoimpressionistInnen ab 1886 (Felix Fénéon, Camille Pissaro, Anna Bloch u.a.). Künstlerische Interpretationen proletarischen Massenelends verknüpften sie mit ihren freiheitlich-egalitären Überzeugungen und „gaben ihren Idealen in Form von gesellschaftlicher Kritik, die eine anarchistische Zukunft aufzeigt, auf der Leinwand eine materielle Präsenz.“ (S. 42) Zugleich bilden Antliffs diesbezügliche materialreiche Untersuchungen eine wertvolle Ergänzung der von Dieter Scholz 1999 unter dem Titel „Pinsel und Dolch. Anarchistische Ideen in Kunst und Kunsttheorie 1840-1920“ publizierten Abhandlung.
Es folgen Betrachtungen über die Dada-Bewegung in New York seit 1915 sowie über den antikolonialistischen und industrialismuskritischen Kunsthistoriker und Philosophen Ananda Coomaraswamy (1877-1947), dessen „postindustrieller Anarchismus“ (S. 80) zugleich die Erneuerung indigener Künste miteinschloss: „Coomaraswamys Anarchismus […] stellt einen überzeugenden Fall von interkulturellen Verknüpfungen dar, in dem eine europäische, im Kunsthandwerk begründete Kritik des Industriekapitalismus für eine anti-koloniale Kampagne genutzt wurde, die sich gegen den eurozentrischen Kulturimperialismus und dessen materielle Folge, den Industriekapitalismus richtete.“ (S. 81)
Ebenso informativ gestalten sich die nachfolgenden Kapitel über anarchistische KünstlerInnen während und nach der Russischen Revolution von 1917 sowie während der sog. McCarthy-Ära in den USA der 1940er und 1950er Jahre. Seine kurzweiligen Ausführungen beschließt Allan Antliff mit einem anregenden Gespräch mit der Anarchistin Susan Simensky Bietila (geb. 1947), die sich seit den 1960er Jahren u.a. als Illustratorin für die Bewegungspresse in New York engagiert, mit Exkursionen über die nonkonformistische Subkultur des Punk der 1970er und 1980er Jahre sowie anarchistischer Kunst am Ende des sog. Ost-West-Konflikts und während des Golfkriegs Anfang der 1990er Jahren etwa am Beispiel des aus Kalifornien stammenden Grafikkünstlers Richard Mock (1944-2006).
Allan Antliffs Buch bietet einen informativen und flüssig geschriebenen Überblick – manchmal würde sich der Rezensent etwas mehr Ausführlichkeit wünschen – über anarchistische Kunst und KünstlerInnen der letzten beiden Jahrhunderte. Gedankenreich gelingt es ihm zu veranschaulichen, wie künstlerische und politisch-emanzipatorische Diskurse ihrer jeweiligen Zeit zusammenfanden und wie anarchistische Kunstschaffende mit ihren jeweiligen künstlerischen Ausdrucksformen auf gesellschaftliche Problemlagen – staatliche Repression, Militarismus/Krieg, Kolonialismus, Industriekapitalismus, Patriarchat – verändernd einwirkten. Programmatisch schrieb der Berliner libertäre Kulturphilosoph und Initiator zahlreicher anarchistischer Projekte, Gustav Landauer, dem die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst, Dichtung und Theater für die Bewusstseinsbildung der Menschen nicht verborgen blieb: „Die Konsequenz der Dichtung [an dieser Stelle könnte auch Kunst stehen - S.W.] ist Revolution, die Aufbau und Regeneration ist – wer das nicht weiß, dem haben die Dichter [KünstlerInnen – S.W.] nie wirklich gelebt.“
Der Übersetzerin Katja Cronauer und dem „Verlag Edition AV“ sei an dieser Stelle ausdrücklich für die gelungene Übertragung aus dem Englischen sowie die Aufnahme eines der wichtigsten Bücher über anarchistische Kunst und libertäre KünstlerInnen der letzten Jahre in sein Verlagsprogramm gedankt.

 

 

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