ISBN
3-936049-67-X
ISBN 978-3-936049-67-1
221 Seiten
18 €
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Cornelius
Castoriadis
Autonomie oder Barbarei
Ausgewählte Schriften - Band 1
übersetzt von Michael Halfbrodt
"Die Autonomie der Individuen,
ihre Freiheit (...), hat auch vor allem die gleiche Teilhabe
aller an der Macht zum Inhalt, ohne die es natürlich
keine Freiheit gäbe, ebenso wenig wie Freiheit ohne Gleichheit.
Wie könnte ich frei sein, wenn andere als ich über
das entscheiden, was mich betrifft und ich an dieser Entscheidung
nicht teilnehmen darf?"
Cornelius Castoriadis
Folgende Texte befinden sich im Band:
— Der
Anstieg der Bedeutungslosigkeit
—
Demokratie als Verfahren und Demokratie als System
—
Welche Demokratie?
—
Wesen und Wert der Gleichheit
—
Macht, Politik, Autonomie
—
Die Bewegungen der sechziger Jahre
—
Die Idee der Revolution
Rezensionen:
Wolfgang Zwander: "Demokratie? Liberale Oligarchie!" in: Falter : Wien 1-2/2010 vom 13.1.2010 (Seite 17) mehr...
Martin W. Schnell in: Journal Phänomenologie
29/2008 mehr ...
K.H.R. in: Sozial.Geschichte - Heft 1/2007 mehr
...
Felix Klopotek: "Die Revolution im Rückspiegel"
in: jungle world Nr 41 vom 11.10.2006 mehr
...
Michael Reich: Autonome oder Barbarei" im: Conne Island
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...
Wolfgang Zwander: Demokratie? Liberale Oligarchie!
Das Nuller-Jahrzehnt beraubte die westliche Welt vieler Gewissheiten. Vor zehn Jahren glaubte die Mehrheit noch an die große Erzählung von liberaler Demokratie und gezähmter Marktwirtschaft. Heute klingt das wie ein müder Witz. Wer fühlt sich noch vertreten von „seinen“ Abgeordneten? Wer glaubt noch an die unsichtbare, wohltätige Hand des Kapitalismus? Eine Minderheit.
Was tun? Fürs Erste könnte man Literatur zur Hand nehmen, die den Istzustand unseres politischen Systems analysiert. Der leider viel zu unbekannte Cornelius Castoriadis schrieb gleich mehrere Werke, die sich dieser Aufgabe widmen.
Im vorliegenden Buch „Autonomie oder Barbarei“, dem ersten Band einer Reihe gesammelter Schriften, behandelt er seinen frühen Bruch mit dem „bürokratischen Marxismus“, dem er bereits abschwor,
als Sartre noch Stalin verteidigte. Unsere heutige Gesellschaftsform hält Castoriadis für keine „liberale Demokratie“, sondern allenfalls für eine „liberale Oligarchie“.
Der Franzose mit griechischen Wurzeln argumentiert, dass eine Demokratie einen autonomen „Demos“ brauche, wovon in unserem politischen System keine Rede sein könne. Er sieht den Staat in der Hand von Unternehmen und Parteien, deren Strukturen ihn an die Mafia erinnern. Als Castoriadis 1997 in Paris verstarb, betitelte die Zeitung Le Monde seinen Nachruf mit den Worten „Titan des Geistes“.
Martin W. Schnell
Im Jahre 2007 kehrte der Todestag des 1922 geborenen griechisch-französischen
Philosophen Cornelius Castoriadis zum zehnten Mal wieder.
Das Journal Phänomenologie würdigte in seiner Ausgabe
27/2007 das Werk Castoriadis' mit einem eigenen Schwerpunkt
zu dessen Bedeutung und Zukunftsperspektiven.
Im selben Jahr legte der Verlag Edition AV den ersten Band
der auf fünf Bände angelegten Edition Ausgewählter
Schriften vor. Die Herausgeber Michael Halfbrodt und Harald
Wolf wollen mir dieser Initiative das krasse Missverhältnis
abmildern zwischen dem großen Anregungspotenzial und
der geringen Bedeutung, die Castoriadis' Werk in Deutschland
zuteil wird.
Die vorliegende Publikation enthält sieben Beiträge
aus den späten 90er Jahren, die allesamt den letzten
der sechs Carrefours du labyrinthe-Bände entstammen,
die zwischen 1978 und 1999 in Paris erschienen sind und die
die Entwicklung von Castoriadis' Denkweg dokumentieren. In
deutscher Sprache liegt bislang erst ein Buch unter dem Titel
Durchs Labyrinth. Vernunft. Seele. Gesellschaft (Frankfurt/M.
1981} vor.
Autonomie oder Barbarei ist als demokratisch-bürgergesellschaftliche
Abwandlung der großen Alternative Socialisme ou Barbarie,
die der junge und trotzkistische Castoriadis verfolgte, zu
verstehen und zeigt, dass im Mittelpunkt seines Werks
ein politisches Projekt steht. Damit, so Castoriadis, unterscheide
er sich von Zeitgenossen wie Althusser, Lacan, Foucault (vgl.
S. l 73 ff.). Die strenge Dichotomie von Autonomie oder Barbarei
deutet auf eine Entscheidung und Dramatik in der Geschichte
hin. Die Rückseite großer Verheißungen bildet
allerdings die Gefahr der Resignation. Wer viel wagt. kann
auch viel verlieren. »Die Subversion geht unter im Einerlei
des Üblichen und Beliebigen« (S. 22). Diese Sichtweise
dominiert das Spätwerk von Castoriadis': Der Rückzug
ins Private und die Apathie der Bürger lassen das Projekt
der Autonomie verflachen.
Dabei ist, vor dem Hintergrund der Liberalismus/Kommunitarismus-Debatte,
der Entwurf einer Autonomie der Demokratie durchaus relevant.
So entwickelt Castoriadis ein Verständnis von Demokratie,
das bekanntlich verschiedene typische Eigenschaften hat. Demokratie
ist Herrschaft des demos und damit der Autonomie. Demokratie
bezieht sich nur auf sich selbst, auch hinsichtlich ihrer
Begrenzungen ist sie ein »System der Selbstbeschränkung«
(S. 74). Sie ist direkte Demokratie, ohne »politische
Repräsentation« (S. 81).
Gegen die Reduktion der Demokratie auf eine bloße Verfahrensform
plädiert Castoriadis für eine Kopplung der Idee
der Demokratie an Grundwerte, zu denen die Autonomie des Individuums
und der Gemeinschaft zählen. Grundwerte deshalb, weil
die Demokratie eine historische Schöpfung darstellt,
die als Schöpfung Autonomie impliziert. Das Problem dabei
ist allerdings, dass die Autonomie ihrerseits nicht notwendigerweise
die Demokratie impliziert. »Auschwitz und der Gulag
sind genauso Schöpfungen wie der Pantheon oder Notre-Dame
in Paris» (S. 37). Die Autonomie ist nicht auf Demokratie
angelegt, da sie sonst keine schöpferische Autonomie
sein würde. Diese Logik kann somit nicht erklären,
warum wir die Demokratie und nicht viel mehr ein anderes System
wollen sollten (vgl. S. 48). Das Problem liegt offenbar im
Verständnis von Autonomie. Kurz gesagt: Castoriadis löst
Autonomie vom Ethischen und bindet sie an die Imagination.
Und das radikal!
»Diese Autonomie hat nichts gemein mit der Kant'schen
Autonomie. […] Es geht bei der Autonomie nicht darum,
sich ein für alle Mal ein Gesetz zu geben, das in einer
unveränderlichen Vernunft aufzufinden wäre, sondern:
[...] Autonomie ist das reflexive Handeln einer Vernunft,
die sich selbst [...] erzeugt« (S. 154 f.; Übers,
von mir geändert, MWS).
Diese kreationistische Auffassung von Autonomie ist problematisch,
da sie und ihre Projekte nicht schlechthin verteidigens- und
lohnenswert sind. Wenn Konzentrationslager auch als radikale
und autonome Schöpfung gelten, dann verzichten wir doch
lieber auf die Autonomie. Eine reine Selbstbeschränkung,
die der Demokratie innewohnt und diese vor der Barbarei schützen
soll, hilft zur Unterscheidung »guten' und »schlechter«
Institutionen auch nicht, da eine reine Selbstverpflichtung
zu nichts verpflichtet, solange sie nicht durch eine Andersheit
konstituiert wird. Das ist bei Hobbes zu lernen und daraus
die Konsequenz zu ziehen, dass das Verhältnis von Autonomie
und Heteronomie noch einmal zu überdenken wäre.
Es kommt heute darauf an, Castoriadis' Projekt von »Philosophie
und Politik« {S. 19) über Castoriadis hinaus weiterzuführen.
Insbesondere bedarf es in diesem Zusammenhang einer Neubestimmung
von Autonomie und Kreation im Zeichen des Politischen (1).
Bei all dem kann eine Auseinandersetzung .mit den Ausgewählten
Schriften sehr hilfreich sein.
Martin W. Schnell
(1) Vgl. Martin W. Schnell: »Castoriadis
und das Politische«, in: Journal Phänomenologie
27/2007.
K.H.R.
Dass die Herausgeber die seit langem überfällige
deutsche Ausgabe der Ausgewählten Schriften von Cornelius
Castoriadis mit Vorträgen und Aufsätzen eröffnen,
ist verständlich, denn im deutschen Sprachbereich in
Castoriadis erst im Kontext der Autonomie-Debatten der undogmatischen
Linken bekannt geworden. (...) Die Schriften Castoriadis'
und seiner MitstreiterInnen aus dem Umfeld von Socialisme
ou Barbarie sind wichtige Bausteine für jeden Versuch,
den aktuellen Umbrüchen des Weltsystems glaubwürdig
Alternativen entgegenzustellen.
Felix Klopotek:
Die Revolution im Rückspiegel
(...) Die Theoriearbeit vieler zeitgenössischer Marxisten
und linker Revolutionäre muss man als Versuch verstehen,
die Wunden zu heilen, die Stalins modernes Schreckensregime
schlug. (...) Schließlich verabschiedete er sich vom
Marxismus, um wie er sagte, Revolutionär bleiben zu können.
Zentral für sein Werk, wie umfangreich und verzweigt
es sich darstellt, ist der antistalinistische Impuls. (...)
Castoriadis, der bis zu seinem Tod 1997 ein akademischer Außenseiter
geblieben ist, liegt quer zu allen dominanten Diskursen der
Linken: Für Marxisten, (Post-)Strukturalisten und Diskursanalytiker
hat er nur Spott übrig. Er schreibt wie ein militanter
Liberaler und ist doch konsequenter Antikapitalist; er verfolgt
die Totalitarismusdoktrin und bejaht die sozialistische Revolution.
Mit "Autonomie und Barbarei" erfolgt die erste größere
deutschsprachige Sammlung seiner Schriften, Vorträge
und Interviews (als wiederum erster Teil einer deutschen Werksausgabe)
seit über 20 Jahren. (...)
Um sich dem Kern seiner Autonomie-Vorstellung zu nähern,
genügt folgender Ausgangspunkt: Die Gesellschaft bringt
das Individuum hervor, die Individuen bringen die Gesellschaft
hervor. Castoriadis erweitert diese Aussage in zwei Punkten
wesentlich: Das Individuum, obwohl ganz und gar gesellschaftlich
geprägt, ist darauf nicht zu reduzieren. Und umgekehrt,
die Gesellschaft, aus lauter Individuen bestehend, ist nicht
auf jene Individuen zurückzuführen. Weil es diese
gegenseitige Nicht-Reduzierbarkeit gbit, darf man die gesellschaftlichen
Vorgänge nicht als Teil einer großen Logik verstehen,
aus der sie sich restlos ableiten. Es sind vielmehr die Prozesse
der Selbstschöpfung. (...)
Wer (...) etwas über die Verheerungen des Stalinismus
(...) erfahren will und die damit notwenidige Verknüpfung
einer neuen Grundlegung der Freiheit und Revolution, kommt
um ihn nicht herum. (...)
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