ISBN 978-3-86841-083-9
241 Seiten
17
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Helge
Döhring
Syndikalismus in Deutschland 1914-1918
“Im Herzen der Bestie”
AnarchistInnen & SyndikalistInnen und der Erste Weltkrieg
„Ohne die SPD und die von ihr geführte Arbeiterschaft war der Krieg nicht zu führen“, betonte der Historiker Fritz Fischer. Die Sozialdemokratie entschied sich für die Teilhabe und für die Nutznießerei am imperialistischen Weltkrieg unter nationalistischer Ägide, statt für den weltweiten Klassenkampf.
Wie verhielt sich dieser erdrückenden Mehrheit gegenüber die syndikalistische Arbeiterbewegung? Was bewirkte sie?
Richtet sich der Fokus bei der Betrachtung des Widerstandes im Allgemeinen auf die politisch ausgerichtete Spartakusgruppe oder auf die USPD, so gelangt diese Studie zu dem Schluss, dass es sich bei der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ mit Zentrum in Berlin um die erste reichsweite Organisation handelte, die von Beginn des Krieges an in den Betrieben Widerstand leistete, Streiks organisierte und für einen konsequenten Antimilitarismus eintrat. Besonders unter den Metallarbeitern Berlins erwuchs seit den ersten Kriegsjahren sowohl mit den Syndikalisten, als auch den „Revolutionären Obleuten“ das Potenzial, welches sich in der Novemberrevolution 1918 Bahn brechen sollte…
Rezension
Philippe Kellermann: Zwei Bücher von Helge Döhring zum Anarcho-Syndikalismus. Veröffentlicht auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung:
Gemessen am Pensum der Veröffentlichungen ist Helge Döhring, Mitbegründer des Bremer „Instituts für Syndikalismusforschung“, der derzeit produktivste Forscher über die (anarcho-)syndikalistische Bewegung in Deutschland. [...] Wenngleich auch während des Ersten Weltkrieges der Anarchosyndikalismus keineswegs auch nur annährend als eine Massenbewegung verstanden werden kann, und führende Köpfe über dem Untertanengeist der deutschen Arbeiter verzweifelten, wuchs der revolutionäre Syndikalismus im Gefolge von Weltkrieg und Novemberrevolution zumindest zeitweise sprunghaft an. Dieser Höhenflug zu Anfang der 1920er Jahre war aber schon wieder vorbei, als sich die Entwicklung hin zur Durchsetzung des Nationalsozialismus neigte. „Als die Nazibewegung zu Beginn der 1930er Jahren ihren steilen Aufschwung nahm, stand die syndikalistische Bewegung“, so Döhring, „dieser bereits machtlos gegenüber, während es ihr während des Kapp-Putsches im Jahre 1920 zusammen mit anderen revolutionären Organisationen noch gelang, das Ruhrgebiet als Industriezentrum von den reaktionären Truppen zu befreien.“ (S.22) Die FAUD sei schon zuvor „von wenigen lokalen Ausnahmen abgesehen, von einer gewerkschaftlichen Interessenvertretung auf eine Vernetzung ideengemeinschaftlicher Gruppen“ zusammengeschrumpft (S.156). Dieser Niedergang zeigt sich in Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933-1945 auf beklemmende Weise, da sich Döhring recht intensiv mit einer gerade mal einer guten Handvoll Personen beschäftigt, oder vielmehr, beschäftigen kann. Umso größer der Respekt, der diesen Wenigen entgegen gebracht werden sollte. Döhring meint sogar: „Der Anarcho-Syndikalismus als Widerstandsform in Deutschland hat trotz seiner Marginalität einige Vorzüge zu bieten gehabt (…). Eine Besonderheit lag darin, dass die überregional angelegten Strukturen relativ lange erhalten blieben bzw. vor dem Zugriff der Gestapo geschützt werden konnten. Die anarcho-syndikalistische Fluchthilfeorganisation blieb bis 1937 intakt!“ (S.8) Wie dies möglich war, wird wie folgt erklärt: „Im Allgemeinen lässt sich (…) sagen, dass sich die Anarcho-Syndikalisten frühzeitig und gut vorbereitet auf die Illegalität umstellten, wenngleich sie in einzelnen Fällen die Dimension und die Dynamik des Nazifaschismus leicht unterschätzten. Dass die Regierung Hitler innerhalb weniger Monate oder Jahre ‚abgewirtschaftet’ haben würde, wie es sozialdemokratische oder kommunistische Führungen prognostizierten, nahmen hingegen nur wenige Anarcho-Syndikalisten an.“ (S.27) Gerade die Marginalität der FAUD habe sich so auch vorteilhaft ausgewirkt: „Die anarcho-syndikalistischen Gruppen zeichneten sich dadurch aus, dass sie gegenüber verdeckten Ermittlern der Polizei sehr resistent waren. Das lag daran, dass die Mitglieder sich aus den gewachsenen und gefestigten Strukturen der Zeit vor 1933 zusammensetzten. Die FAUD hatte bis zum Ende ihrer illegalen Tätigkeiten einen eigenen Organisationsapparat. Bündnisse mit kommunistischen und anderen sozialistischen Gruppen ging sie nur in wohlüberlegter und distanzierter Form ein. So blieben die Anarcho-Syndikalisten weitgehend unter sich. Nach 1933 reorganisierten sie sich lediglich auf eigener Basis, weitgehend ohne weitere Mitstreiter für den Widerstand zu werben und einzubinden. Ein weiterer Grund lag darin, dass die anarcho-syndikalistischen Ortsvereine schon vor 1933 vergleichsweise wenig mit Polizeispitzeln durchsetzt gewesen waren, im Gegensatz beispielsweise zu den Verbänden der KPD. Die Tatsache, dass die FAUD gewerkschaftlich und politisch wenig bedeutend gewesen ist, spielte dagegen nur eine untergeordnete Rolle, wie der Verfolgungswille der Polizei und der Strafgerichte nach 1933 beweisen.“ (S.77)
Beide Bücher sind sehr hilfreich um einen Einblick in die betreffenden Themenfelder zu bekommen. Sie vermitteln anschaulich Aspekte der Historie jener Bewegung, der sich Döhring mit großer Sympathie nähert und die im geschichtlichen Bewusstsein stark zu machen, er sich offenkundig – und wie ich meine zu Recht – vorgenommen hat. Auch steckt erkennbar viel Arbeit und Mühe in den Büchern und man kann sich nur darüber freuen, hier einen Autor vor sich zu haben, der eine gewisse Freude an enzyklopädischer Auflistung zu haben scheint. Nicht immer eine einfache Lektüre, hat ein solches Vorgehen dafür den Vorteil, dass eine große Menge an Informationen zu Personen und Organisationen übersichtlich und griffig zugänglich gemacht werden. Inwieweit die an anderer Stelle gemachten Einwände gegen manche Aspekte von Döhrings Ausführungen (siehe Hartmut Rübner in „Graswurzelrevolution“ Nr.381, Sept.2013) stichhaltig sind, bin ich aus dem Stand heraus nicht in der Lage zu beurteilen. Zu diskutieren gibt es jedenfalls immer und es wäre schön, wenn sich nun auch eine breitere anarchistische Forschung in Deutschland herausbilden würde, um fundierte und damit auch zwangsläufig kontroverse Diskussionen führen zu können. Hierzu trägt Döhring und mit ihm das „Institut für Syndikalismusforschung“ bei. Sollten solche Diskussionen dann auch noch auf der Grundlage gegenseitigen Respekts möglich sein, könnte der Anarchismus, zumindest im Bereich der historischen Forschungsgemeinde – aber hoffentlich nicht nur in dieser –, wieder an Aufmerksamkeit gewinnen.
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