ISBN 978-3-936049-93-0
250 Seiten
17 €

 

Michaela Kilian
„Keine Freiheit ohne Gleichheit“

Louise Michel (1830 – 1905), Anarchistin, Schriftstellerin,
Ethnologin, libertäre Pädagogin


Sie forderte „die absolute Freiheit, nichts als die Freiheit und nur sie.“ Sie wusste aber auch: „Keine Freiheit ohne Gleichheit! Keine Freiheit in einer Gesellschaft, die in den Händen weniger monopolisiert wird“ – ein Problem nicht nur des 19. Jahrhunderts, sondern im Gegenteil bestürzend aktuell. Louise Michel, Anarchistin, Pädagogin und Schriftstellerin, forderte „das Brot für alle, die Wissenschaft für alle, die Arbeit für alle – für alle auch Unabhängigkeit und Gerechtigkeit.“ Offenbar waren dies unangemessene Forderungen, denn die Verfasserin dieser Zeilen galt als streitbarste Frau Frankreichs und schied die Geister. Für die einen war sie die „Jeanne d’ Arc des Anarchismus“, für andere ein hässliches „Mannweib“, „fanatisch“, für die bürgerliche Presse „La pétroleuse“ („Anzünderin“). Sie war die meistgehasste und meistbewunderte Frau Frankreichs. Zeitgenoss/INNen ehrten sie als „eine der bemerkenswertesten Frauen des Jahrhunderts“; Leonhard Abbott anerkannte sie – mit Emma Goldman und Voltairine DeCleyre – als „die drei bedeutendsten Anarchistinnen der modernen Zeit.“
Bereits wenige Jahrzehnte nach ihrem Tod im Jahre 1905 war ihre Bedeutung sowohl für die Geschichte der Pariser Kommune von 1871 als auch für die des Anarchismus von den Historikern „vergessen“, die auch die Leistung der Frauen unzähligen Revolutionen gern unterschlagen, obwohl in der Französischen Revolution von 1789, in der von 1848 und in der russischen Widerstandsbewegung Frauen an vorderster Stelle standen. Doch vor allem den rebellischen Geist einer Louise Michel, einer Kämpferin gegen eine antihumane kapitalistische Welt, die Menschen in Ausbeuter und Ausgebeutete scheidet, hat auch das 21. Jahrhundert bitter nötig. Ihre Ideen machen Louise Michel, die Freiheitskämpferin, zu einer Zeitgenossin von uns. Ist sie darum so wenig bekannt?

Rezension:

Anna Homburg: Die Anarchistin Louise Michel, erschienen in: contraste - Juni 2008
Sie lebte zwischen 1830 (andere Autoren nennen 1833 als Geburtsjahr) und 1905, und sie schied die Geister. Für die einen war sie eine „pétroleuse“, eine Brandstifterin und Terroristin, - für die anderen die „Jeanne d`Arc des Anarchismus“, die für ihre moralischen und politischen Überzeugungen einstand und keinen Millimeter von der einmal gewonnenen Erkenntnis abwich. Zeitgenossen ehrten sie darum als „eine der bemerkenswertesten Frauen des Jahrhunderts.“
Für die bürgerliche Presse war sie ein „Reizthema“, denn sie war bereits zu Beginn der Regierung von Napoleon III. eine überzeugte Republikanerin. „Keine Freiheit ohne Gleichheit! Keine Freiheit in einer Gesellschaft, die in den Händen weniger monopolisiert wird“, lautete ihr Credo – eine bis heute nicht eingelöste Forderung. Sie verlangte „die absolute Freiheit, nichts als die Freiheit und nur sie.“ Diese Radikalität und Kompromißlosigkeit machen Louise Michel zu unserer Zeitgenossin. Denn kaum eine Gesellschaftsform erzeugt so viel soziales Unrecht wie die kapitalistische; Soziologen sprechen von einer immer weiter auseinanderklaffenden „Schere“ zwischen Arm und Reich. Und wie zu Lebzeiten Michels wird diese Tatsache entweder fatalistisch als „naturgegeben“ hingenommen oder die Armen und Arbeitslosen werden für ihre Misere öffentlich verantwortlich gemacht, indem ungeniert von einer „Politik von Zuckerbrot und Peitsche“ gesprochen wird: als müßten die Arbeitslosen für ihre Arbeitslosigkeit auch noch bestraft werden. Daß die „faulen Arbeitslosen“ schuld an der Arbeitslosigkeit seien ist einer der Mythen des 20./21. Jahrhunderts über die Ursachen sozialen Unrechts. Mythen sind dazu da, kritisches Denken gesellschaftlich wirkungslos zu machen. Daran haben die Inhaber der sozialen und gesellschaftlichen Macht ein Interesse.
Die wirklichen Ursachen sozialen und wirtschaftlichen Unrechts wurden bereits vor über hundert Jahren beim Namen genannt. Doch die Arbeit der Anarchisten, ihre Bemühungen um eine humane und gerechte Gesellschaft gleichen der immer neuen Erfindung des Rades. Wer kennt heute noch Louise Michel? In Deutschland ist sie nahezu unbekannt.
Zeit also, sich wieder mit ihr zu beschäftigen – und sie zu lesen. In deutscher Übersetzung gibt es von ihrem umfangreichen Werk lediglich ihre zuerst 1886 veröffentlichten (und 1977 übersetzten) „Memoiren“; wollen wir mehr erfahren, müssen wir uns an andere Quellen halten, die indes z. T. schwer zugänglich sind.
Die Biographie der Historikerin Michaela Kilian erfüllt da viele Wünsche. Die gegenwärtige Forschungslage wird eingehend referiert; für Nicht-Anarchisten gibt es eine knappe Einführung in die zentralen Gedanken und Forderungen des Anarchismus. Es folgt ein Kapitel über die Geschichte der Mädchenbildung und die Verdienste der Pädagogin Louise Michel. Kilian beschreibt Kindheit, geistigen und politischen Werdegang ihrer Protagonistin, sympathisiert mit Michels Kämpfen gegen die Armut in der französischen Hauptstadt und in der legendären „Pariser Kommune 1871.“ Auch auf Michels feministisches Selbstverständnis (sie wurde u. a. von den russischen Anarchistinnen beeinflußt) geht Kilian erschöpfen ein; die Parallelen zwischen den Gedanken einer Mary Wollstonecraft (1792) und denjenigen Michels sind frappierend - und zeigen uns die „Fröste der Freiheit“ einer streitbaren Frau.


Zurück zur Startseite