ISBN 3-936049-65-3
ISBN 978-3-936049-65-7
250 Seiten
17 €

 

 

Rubén Trejo
Magonismus: Utopie und Praxis
in der Mexikanischen Revolution 1910-1913

Die magonistische Bewegung als teilnehmende Kraft an der Mexikanischen Revolution strebte danach, die Macht abzuschaffen, nicht sie auszuüben; ihre Ziele waren die Selbstbefreiung und die Selbstverwaltung der Volksmassen. Sie ist eine Vorläuferin der Bewegungen, die sich die Selbstverwaltung der Gesellschaft auf die Fahnen schreiben. Das Gedächtnis des Tuns und Wissens des magonistischen Aufstands zurückzugewinnen, ist Teil der Herstellung eines historischen Wissens der Kämpfe des Volkes und der Benutzung dieses Wissens in der gegenwärtigen Rebellion.
Die von den Siegern geschriebene Geschichte tendiert dazu, die bedeutende Teilnahme der Magonisten am Sturz der Diktatur Porfirio Díaz`, ihre Ablehnung der Verträge von Ciudad Juárez und damit der Unterordnung unter die bürgerlich-demokratische Führung Maderos zu verbergen. Die Geschichte der Sieger zieht es vor, zu vergessen, dass die Magonisten während der Interimsregierung von Francisco León de la Barra Rebellen blieben und dass sie genau wie die Zapatisten, ihre Brüder in den Bestrebungen und der Aufsässigkeit, weder die Aufgabe noch die Unterordnung akzeptierten, die ihnen das neue Regime Maderos anbot. Als echte Libertäre kämpften sie für eine Welt, in der die Fabriken, das Land und die Freiheit für alle sein sollten. Deswegen hielten sie nach dem Fall Díaz` die Fackel des Aufstandes am brennen.
Das Buch, das Du in der Hand hältst, geehrter Leser, setzt sich zum Ziel, die Erinnerung der Rebellion der Unterdrückten zurückzugewinnen, die sich während der Mexikanischen Revolution zwischen August 1910 und Februar 1913 den magonistischen Idealen verschrieben haben.

Rezension:

Jens Petz Kastner: "Radikalisierter Liberalismus. Eine Geschichte vom linken Flügel der Mexikanischen Revolution: Der Magonismus" in: graswurzelrevolution Nr. 313 - November 2006 mehr ...
Isegrim: "Tierra y libertad" in: direkte aktion br. 178 - November/Dezember 2006 mehr ...

Jens Kastner: Radikalisierter Liberalismus
„Wir Liberalen wollen, dass Alles für Alle ist“, stand 1912 in der in Mexiko erscheinenden Zeitung Regeneración („Erneuerung“), „und dass jeder Produzent nicht im Einklang mit seiner Leistung konsumiert, sondern jeder nach seinen Bedürfnissen.“ Als 1994 die zapatistische Befreiungsbewegung EZLN im Süden Mexikos ihren Aufstand begann, tat sie dies nicht nur mit Waffen. Auch die Worte wurden auf die Kampfplätze der sozialen Auseinandersetzungen geführt. Eine neue poetisch-politische Sprache entstand, neue Losungen wurden geprägt. Eine davon lautete „Alles für alle, für uns nichts“, erstmals formuliert in einem Kommuniqué des Geheimen Revolutionären Indigenen Rates (CCRI-CG) der EZLN im Februar 1994. Darin kündigten die Aufständischen unter anderem an, ihre Rechte einzufordern und sich nicht nur das Land, sondern auch die Geschichte zurückzuerobern.
Teil dieser Geschichte ist offenbar auch die Liberale Partei Mexikos (PLM), ihre Zeitschrift Regeneración und die dazugehörige Bewegung, der Magonismus. Ricardo Flores Magón (1873-1922), nach dem diese libertäre Strömung innerhalb der Mexikanischen Revolution (1910-1920) benannt ist, lehnte diese Bezeichnung ab. Als Anarchist bestand er darauf, dass soziale Bewegungen nach ihren Inhalten und nicht nach Personen benannt werden sollten. Dass sich der Name dennoch durchsetzte, ist heute vielleicht weniger tragisch. Denn die Magonistas, die in den ersten drei Jahren der Revolution eine wichtige Rolle spielten, bezeichneten sich selbst als „Liberale“. Mit dem Privatisierungseifer und dem Individualismus heutiger Namensvetter aber hatten die Magón-AnhängerInnen nichts zu tun. Im Gegenteil, sie radikalisierten den Liberalismus des 19. Jahrhunderts in die andere Richtung. Nach dem offensichtlichen Scheitern liberaler Ideen und Politikkonzepte unter der Diktatur Porfirio Diaz´ (1884-1911) vollzog sich innerhalb der Liberalen Partei eine Radikalisierung des Liberalismus. Im Zuge derer kam es zu einer grundsätzlichen Ablehnung des Privateigentums. Die Liberalen wandten sich anarchistischen und sozialistischen Ideen zu – eine „theoretisch-politische Revolution“, wie Rubén Trejo es nennt. So entwickelte sich in Mexiko eine eigene Form anarchistischer Theorie und Praxis, die sich wiederum nicht nur auf in Europa erdachte Ideen stützte. Der Anarchokommunismus war, so Rubén Trejo, „nicht die einzige Inspirationsquelle, um Alternativen zum kapitalistischen Privateigentum zu formulieren. Ebenso wichtig waren die Kämpfe der mexikanischen Kleinbauern und indianischen Gemeinschaften. Letztere boten ein lebendes Beispiel des kollektiven Eigentums an Land, Wäldern und Wasser.“
Die von dem Historiker Trejo – selber Autor der magonistischen, in Mexiko-Stadt erscheinenden Zeitschrift Autonomía – vorgelegte Studie ist die erste auf Deutsch erhältliche Gesamtdarstellung des Magonismus. Hat man sich erst einmal durch den unglücklichen Einstieg direkt in die Revolutionswirren hindurchgelesen, legt die Lektüre viele interessante Zusammenhänge und Details offen. Zu diesen gehört beispielsweise die Tatsache, dass die Magonistas zu den ersten libertären Bewegungen zu zählen sind, die den inter- bzw. transnationalistischen Anspruch durchgängig in die Tat umsetzten. Durch ihr Agieren dies- und jenseits der Grenze zwischen den USA und Mexiko schienen sie geradezu prädestiniert dazu. Über die Verwirklichung eines anderen, auch im Magonismus groß geschriebenen Anspruches, den der Emanzipation der Frauen, ist hingegen leider nichts zu erfahren. Eine Leerstelle, die in aktuellen anarchistischen Publikationen nicht vorkommen sollte.
Von diesem Punkt abgesehen, gelingt es Trejo recht gut, die Wechselwirkungen von politischen Verhältnissen und theoretisch-praktischer Entwicklung der Bewegung zu skizzieren. Dass die Magonistas gleich nach dem Sturz des Diktators und der Machtübernahme des moderaten, bürgerlichen Präsidenten Francisco Madero wieder bekämpft wurden, bestätigte ihr von Michail Bakunin geprägtes Bild der repressiven Klassengesellschaft: Auf der einen Seite die bösen Ausbeuter, gestützt von einer korrupten intellektuellen Klasse, auf der anderen Seite das gute, aber blöd gehaltene Volk. Dass diese Konzeption – neben anderen problematischen, weil vereinfachenden Aspekten – grundsätzlich die Bildung von Allianzen erschwert, wenn nicht verhindert, gilt wohl bis heute. Trejo lässt das nur an einer Stelle anklingen: Sich nicht mit den Bewegungen Emiliano Zapatas und Pancho Villas zusammenzuschließen, weil sie letzteren für einen „Wächter der Interessen der Bourgeoisie“ hielten, beschreibt er als eklatante Fehleinschätzung der Magonistas. Ansonsten führt er das Scheitern der magonistischen Bewegung vor allem auf interne Gründe zurück: Spaltungen, Verdächtigungen, Intrigen.
Dass das Buch über weite Strecken in einer Wer-Wann-Was-Erzählung verbleibt, anstatt sich mehr über Warum und Wie auszulassen, ist schade, aber hinnehmbar. Denn selbst in Mexiko ist die Bedeutung des Magonismus trotz und wegen der Rolle der Revolution im kollektiven Gedächtnis dem ausgesetzt, was Pierre Bourdieu einmal das „Vergessen machen“ genannt hat. Insofern hat sich also auch Trejo, wie die Zapatistas, daran gemacht, die Geschichte zurückzuerobern.

Isegrim: Tierra y libertad
Mit der Übersetzung des Buches von Rubén Trejo liegt die erste umfassende Arbeit über die politische Arbeit der Liberalen Partei Mexikos (PLM) für den Zeitraum der Revolution von 1910 bis 1913 in deutscher Übersetzung vor. Sie veranschaulicht an vielen Passagen anhand von Dokumenten die äußerst umtriebige Arbeit der Magonistas, die sich bereits 1905 von liberalen Rebellen gegen die Porfirio Díaz-Diktatur zu anarcho-kommunstischen Revolutionären wandelten, die gegen jede neue Form der Herrschaft und Macht, auch die neue bürgerliche Demokratie im postrevolutionären Mexiko unter Francisco I. Maderom ankämpften. (...)
Dieses Buch ist auch deshalb eine ungemein wichtige Fundstelle, weil es nach der Lektüre nicht mehr überrascht, woher der Sprecher der neozaptatistischen EZLN aus Chiapas viele seiner Ideen bezogen haben dürfte. Auch wenn Ricardo Flores Magón längst vergessen scheint, in Mexiko wird sein Schaffen immer noch studiert und analysiert, es finden sich viele neue Impulse für eine andere, antikapitalistische Welt in seinen Schriften. (...)
Das Buch von Trejo hat der geschlagenen Bewegung der anarchistischen PLM ihren historischen Platz eingeräumt, ihre ideologischen Positionen, aber auch ihre Fehler klar herausgearbeitet. (...)
Rubén Trejo ist Ökonom und derzeit als Lehrer beschäftigt. Er arbeitet an der libertären Zeitung Autnomía mit, die in Mexiko-Stadt erscheint und durch das Libertäre Soziale Zentrum Ricardo Flores Magon (CDL-RFM) herausgeben wird. Diese anarchistischen Genoss/innen gehören zum Autonomen Magonistischen Kollektiv (CAMA), das sich der antikapitalistischen neo-zapatistischen "Anderen Kampagne" der EZLN angeschlossen hat.

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