ISBN
867-3-86841-005-1
380 Seiten
22
|
Martin
Veith
Eine Revolution für die Anarchie
Zur Geschichte der Anarcho-Syndikalistischen Jugend (ASJ) im
Großraum
Stuttgart 1990 – 1993
& Helge Döhring
Aus den Trümmern empor!
Anarcho-Syndikalismus in Württemberg 1933 - 1956
Dieses Buch beschreibt und analysiert die erfolgreiche Gruppe
der militanten „Anarcho-Syndikalistischen Jugend“ (ASJ)
und deren Aktivität im Großraum Stuttgart in der
unmittelbaren Nachwendezeit von 1990 bis 1993. Getragen wurde
sie von mehreren Dutzend Jugendlichen, welche sich mutig
und nachhaltig gegen den zu dieser Zeit mächtig aufkommenden
(Strassen-) Terror der Neonazis einsetzten und darüber
hinaus verschiedene anarchistische Aktivitäten entfalteten,
darunter eine Wahlboykottkampagne, 1. Mai-Demonstrationen,
Proteste gegen den Golfkrieg, eine Hausbesetzung und
einen erfolgreichen Streik. Erzählt wird die Geschichte
von einem ehemaligen Mitglied der Gruppe, welches aus einer
zeitlichen Distanz von knapp 20 Jahren die Geschehnisse Revue
passieren lässt, die Lehren daraus reflektiert, ihre
Aktualität deutlich aufzeigt und zu vermitteln weiß:
Nicht zuletzt über ein vertiefendes analytisches Gesprächsinterview
und Beiträge anderer ehemaliger MitstreiterInnen unter
der Fragestellung: Was ist aus den Aktiven geworden, wie
denken sie heute über ihre Zeit damals in der ASJ?
Der zweite Teil des Buches arbeitet die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus
in Württemberg von 1933 bis in die 50er Jahre hinein
auf. Im Mittelpunkt steht dabei der Prozess gegen 13 syndikalistisch-anarchistische
Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im Jahre 1936.
Der Prozessverlauf, die Haftzeiten, sowie die Folgen dieser
Strapazen für die Bewegung nach 1945 sind zentraler
Bestandteil dieser Untersuchung, genauso wie die Wandlung
dieser einstigen anarcho-syndikalistischen Klassenkampfbewegung
hin zu einer anarchistischen Kulturbewegung. Die dabei aufgeworfenen
Fragen stellen sich bis heute ähnlich, die Fakten sind
für herkömmliche anarchistische Denkmuster bisweilen
irritierend.
Der Blog zum Buch
Rezension
Anarr: "Jenseits des Betroffenheitsgedusels",
aus "Direkte Aktion", Nr. 194 (Juli/August 2009), ungekürzt
Die
Geschichte der ASJ 1990-93 und der FAUD nach 1933 in Baden-Württemberg
haben Martin Veith und Helge Döhring
in zwei Teilen in dem Buch „Eine Revolution für
die Anarchie“ zusammengebracht.
Um es gleich vorweg
zu schicken: Das Buch von Martin Veith ist Erinnerung und
Kampfansage – es ist Feuerwerk!
Seine provokanten Einsichten werden Widerspruch hervorrufen,
vor allem bei jenen, die sich der Straßengewalt von
Neonazis zwar theoretisch nähern, den Erfahrungshorizont
eines Alltags aus permanenter Bedrohung, Einschüchterung,
Angst, Wut und Hass jedoch nicht kennen. Vielleicht können
gerade deshalb AntifaschistInnen in den Ost-Bundesländern,
einigen Regionen im Westen, vor allem aber MigrantInnen sich
sehr viel eher mit dem Anliegen des Autoren identifizieren
als diejenigen, die sich nur „betroffen“ fühlen.
Sicher jedoch ist, dass dieses Buch von allen mit Gewinn
gelesen werden kann, die eine antifaschistische Praxis aufweisen
bzw. diese entwickeln wollen. Es reiht sich ein in die Tradition
von Überlieferungen, die mit Truus Mengers „Im
letzten Augenblick“ und dem auch hier mehrfach erwähnten „The
43 Group“ von Morris Beckman bisher ihresgleichen suchten.
Nur schreibt der Autor nicht über die Widerstandsgeschichte
vor mehr als 60 Jahren, sondern über die Jugendgeneration
Anfang der 90er Jahre.
Authentische Schilderung
Veith zeichnet die Geschichte der Anarcho-Syndikalistischen
Jugend (ASJ) im Stuttgarter Raum Anfang der 90’er
als einer ihrer ehemaligen Aktivisten nach.
Immer schwingt jenes Lebensgefühl mit, das viele dieser
Generation bis heute prägte. Der Autor widmet sich dem
Thema auf eine äußerst persönliche Weise;
vielleicht ist dies das Erfolgsrezept des Buches, da so Erlebtes
unheimlich lebendig und aufmunternd beschrieben wird, eingebettet
in die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jener Zeit. Deutlich
wird: Die Kämpfe der ASJ entwickelten sich aus ihrem
sozialen Alltag heraus, waren direkte Impulse gegen die sie
umgebende Wirklichkeit. Dabei konnte es sich um ihre Wohnsituation
handeln, um Konfrontationen mit Neonazis, Autoritäten,
Nationalismus und Rassismus, Krieg oder um ihre Ausbeutung
im Betrieb. Die ASJ bot dabei keinen Raum für einen
aufgesetzten ideologischen Habitus, sondern zeichnete sich
vielmehr durch die persönliche Verwurzelung in den sozialen
Kämpfen aus.
Mit Einigen Standpunkten des Autors in
punkto Widerstand gegen Neonazis kann sicherlich nicht
jede und jeder d‘accord
gehen, auch wenn vielen AntifaschistInnen die Problematik
unter ganz bestimmten Bedingungen durchaus vertraut ist:
Sie gewinnt rein „militärischen“ Charakter.
Dass die ASJ viel differenzierter war, hat sie in der Praxis
bewiesen. Die Trennung von rechten MitläuferInnen und
hartem Kern, Gesprächsversuche, die Schaffung von Gegenöffentlichkeit,
das Outen von Neonazis in ihrem sozialen Umfeld, das Vermeiden
der Überhöhung von Bedrohungspotenzialen einzelner
Nazi-Gruppen durch gründliche Recherche, einschließlich
des Besuchs ihrer Versammlungen unter Tarnung bei hohem persönlichen
Risiko, oder die passable Methode, sie der Lächerlichkeit
preiszugeben, sind Dinge, die sich bis heute bewährt
haben. Allerdings wird in dem Buch versäumt, angewandte
Gegengewalt als ein aufgezwungenes Übel zu beschreiben,
das sich nicht idealisieren lässt. Es bestand eben die
Notwendigkeit, sich zu wehren oder anderen beizustehen, denn
tätliche faschistische Angriffe waren gerade auch im
Osten der Nachwendejahre alltäglich. Zurück blieb
jedoch immer Katerstimmung, da derart nichts Positives vermittelt
werden kann. In dem Buch fehlt hierbei die kritische Distanz,
auch wenn das Verhältnis zur Gewalt als Taktisches beschrieben
wird. Der Anarchokommunist Malatesta wird nicht umsonst zitiert.
Die Tradition des anarchosyndikalistischen
Antifaschismus im Südwesten
Im zweiten Teil des Buches beschreibt Helge Döhring
in gewohnt akribischer Manier die Widerstandstätigkeit
illegaler FAUD-Kreise in Baden-Württemberg nach 1933,
quasi in Anknüpfung an „Syndikalismus im Ländle“,
das im gleichen Verlag erschienen ist. Prozesse, sog. „Schutzhaft“,
Folter, Zusammenhalt, aber auch Misstrauen prägten diese
Zeit. Nicht alle, die überlebt hatten, versuchten nach ’45
einen Neuanfang. Den Unermüdlichen bot der Briefwechsel
mit dem im Exil lebenden Rudolf Rocker Halt und Richtschnur.
Döhring hat an dieser Stelle auch Interessantes über
den Anarchisten Theodor Plivier zusammengetragen, das in
dieser Form bisher unbekannt sein dürfte.
Fazit: Kaufen,
lesen, weiter empfehlen! Womöglich die
bislang wichtigste Veröffentlichung 2009.
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